Fahren
Stasi Bus 23. Juli 1986
Wir alle sind derzeit ohne Staatsbürgerschaft.
In Erwartung dessen, was als Nächstes passieren könnte.
Sie lassen uns raus.
Ein Haufen Typen in Zivilkleidung.
Spaziergang ausserhalb eines politischen Gefängnisses.
Direkt in einen blauen Kässbohrer-Bus.
Ostberliner Nummernschilder.
Ich habe nie in einem Westbus gesessen.
Alles ist sauber und komfortabel.
Es herrscht eine seltsame Stimmung unter uns.
Ungläubigkeit mischt sich mit Angst und Aufregung.
16 Monate ziehen an mir, meiner Familie, meinen Freunden und meiner Heimatstadt vorbei.
Wolfgang Vogel, der Hauptverhandlungsführer und Anwalt, der die Geschäfte vermittelt.
Hier im Bus, direkt neben meinem Sitz, legt er seine Hand auf meine Schulter:
"Na, Thieme, Weihnachten?!" - und bezog sich wohl auf die Diskussion, die ich im Gefängnis mit Leutnant Kulas hatte.
Ich traue meinen Ohren nicht!
Es ist alles ein verdammt grosses Spiel, nicht wahr?
Ich bin froh, dass er den Bus verlässt, sonst würde ich ihm ins Gehirn springen.
Hinten stehen zwei Stasi-Offiziere in Zivilkleidung, vorne einer.
Alles folgt einem Plan, einem Prozess, einer Routine.
Ziemlich eilig fahren wir ab.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.