Jahresabrechnung

Stasi Haft 28. März 1986

Letzter Arbeitstag in dieser Woche.

3:30 wieder wach.

Zu müde.

Die ganze Routine funktioniert wie im Traum.

Waschen, anziehen, Bett machen.

"SG 1240: Du bleibst!"

WTF?!?!

Das Team verlässt die Zelle.

Fragen in jedermanns Augen.

Was ist hier los?

Kann das ein ... sein?

Nein... Ich weiss nicht...

Alleine in der verschlossenen Zelle.

Keine Geräusche draussen.

Transport?!!!

Normalerweise bleiben die Zellen den ganzen Tag geöffnet.

Nicht, wenn sie jemanden zur Bearbeitung festsetzen.

Entweder um sie in Dunkelhaft zu nehmen oder um sie zu versetzen...?

Habe eine Stunde oder länger gewartet.

"SG 1240: Treten Sie heraus."

Zwei Wachen warten.

Im Erdgeschoss, kleines Gebäude zwischen den Zellenblöcken.

Ich wusste nie, was hier drin war.

Sieht aus wie ein normales Büro.

Der Raum ist leer, mein Chef ist hier!

MY BOSS aus dem Laden ist hier.

"Werner, was machst du denn hier?"

"Ich muss Dir einige Fragen stellen.

Aber zuerst: Wie geht es Dir?

Wir vermissen dich."

Ich habe ihn immer sehr gemocht.

Ermutigend, herausfordernd auf faire und ehrliche Weise.

Es war meine zweite kaufmännische Ausbildung in seinem Elektronikgeschäft.

In der Woche, bevor ich mich der Stasi stellte, vertrat ich ihn.

Es war eine ruhige Woche und die Kollegen waren auch zufrieden mit mir.

Aber warum taucht er jetzt auf, ein Jahr nachdem ich weg bin?

Legen Sie das Transaktionsbuch vor mich hin.

Und sieht mich intensiv an.

"Das geht nicht auf!"

WAS?!?!!

"Werner! JETZT?!?!"

"Die Zahlen stimmen nicht."

WTF?!

"Stehst Du unter Druck?"

Keine Antwort, er schlägt nur die Doppelseite vom April letzten Jahres auf.

Das ist lächerlich.

Und sehr MERKWÜRDIG!

Mein Handschrift stimmt.

Freitag vor meiner Abreise: 1'500 Mark Fehlbetrag.

Alle Zahlen sauber aufgeschrieben.

Die Summe ist um 1'500 zu hoch.

Meine Handschrift.

"Ich habe KEINE AHNUNG!"

"Hast du es genommen?!"

WAS?!?!!

"Werner!

Echt jetzt?!!!!"

Wir hatten einander immer vertraut.

Er hat mir geholfen, mich weiterzuentwickeln, und meine Neugierde nie gestoppt.

Nach sechs Monaten in der Ausbildung bat er mich, bei ihm die Fähigkeiten eines Filialleiters zu erlernen.

Ich bin verblüfft, fassungslos.

"Meine Zahlen haben immer gestimmt und das weisst du auch!"

"Hast du es genommen? Denn wenn ja, dann muss ich mehr als nur unsere Beziehung in Frage stellen."

Das tut weh!

"Warum sollte ich einen Tag vor meiner Abreise Geld aus Ihrem Laden stehlen?!"

"Vielleicht hattest du Schulden bei Freunden und hast sie bezahlt, bevor du gegangen bist?"

"Oh, das ist jetzt einfach grossartig, nicht wahr?!

Was springt für dich dabei heraus, Werner?

Komm schon, sag es mir!"

Er sieht neutral aus, scheint aber genauso unsicher zu sein.

Oder ist es die Schuld in seinen Augen?

Wird er gezwungen?

"Ich weiss nicht, wie die Zahlen nicht stimmen können.

Ich möchte nur eine ehrliche Antwort von Dir."

"Warum jetzt?!"

Hier gibt es nichts Substanzielles.

Er geht mit hängenden Schultern.

Ich gehe mit einem sehr seltsamen Gefühl.

Wollen sie mich auf diese Weise brechen?

Strafanzeigen wegen eines selbst gebuchten Betrugs?

Ist dies eine Vorbereitung darauf, dass ich im August durch die Vordertür gehe?

Jetzt bin ich sehr besorgt.

Was ist, wenn sie das durchsetzen?

Was ist, wenn sie eine Strafsache konstruieren, um mich in die DDR zurück zu lassen, statt nach dem Westen freizulassen?

Aus ihrer Sicht würde es Sinn machen!

Sie geben eh nie zu, dass es hier politische Gefangene gibt.

Wenn das auffliegt, werden sie einfach einen Strafantrag stellen und mich zum Schweigen bringen.

Das ist gefährlich.

Dies ist von entscheidender Bedeutung.

Das ist jetzt richtig Scheisse!

*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.