Jena
Stasi-Haft 20. Oktober 1985
Mama und Papa sind wieder da.
Der Bargeldschmuggel wird allmählich zur Routine.
Keine Angst - es scheint ihnen fast Spass zu machen, die Wachen auszutricksen.
Grüsse von B und U.
"Sie besuchen uns zur Unterstützung."
Freundschaft beweist sich in Krisensituationen.
Sie halfen Mama beim Einkaufen und bei der Wäsche.
Irgendwie niedlich, wenn man unsere Punk- und Hardrock-Attitüde kennt.
Wochen bevor ich bei der Stasi anklopfte, fuhren wir zu einem Punkkonzert.
Die Evangelische Landeskirche Thüringens in Jena unterstützte die Underground-Musikszene.
Damit unterstützten sie auch alles und jeden, der von der Stasi überwacht oder bedroht wurde.
Da ich bei der Stasi aktenkundig war, wusste ich nie, ob und wie sie mich beobachteten.
Deshalb habe ich immer Kameras gemieden.
Meistens erfolgreich.
Allerdings nicht immer.
Es gab ein paar Typen, immer die gleichen, die auf unseren Partys, Punkkonzerten und politischen Diskussionen in Jena und Leipzig Fotos gemacht haben.
Es dauerte eine Weile, um diejenigen zu identifizieren, die sich nebenbei etwas Geld verdienen.
Sie entwickelten die Bilder selbst und kassierten bei der Stasi direkt ab.
Auf einer Party von B. verbrannte ein Typ eine DDR-Fahne.
Flacher Gag eines Modepunks, dem es an Hirn und Verstand fehlt.
B hat mich rausgeholt, Minuten bevor die Stasi kam.
In Jena haben wir ein Foto für uns gemacht.
Ich habe das ganze Wochenende jede andere Kamera gemieden.
"Ulrike am Nagel" aus Hermsdorf spielte am Konzert.
Da war ein Kerl namens "Kaktus" mit einem kleinen Budget aus dem Jugendzentrum der Kirche.
Er schnitt Bänder und nahm Bands wie "Fantastische Frisöre" und "Andreas Auslauf" auf.
Es war einer der coolsten illegalen Underground-Punk-Kassettenlabels des Landes.
"Wutanfall" aus meiner Nachbarschaft spielte und wurde dort verhaftet.
Unsere Punk-Freunde in Berlin hatten immer Ärger mit den Nazis dort.
In Leipzig gab es kaum welche, aber die Stasi war nervig.
Jemand sagte uns: "Die Stasi gibt den Nazibanden Tipps, damit sie die Punks verprügeln."
In unserer Stadt hatten sie diese Möglichkeit jedoch kaum.
Also schickten sie Fotografen und Spitzel.
Wir waren immer in Alarmbereitschaft.
Ich vermisse diese Szene und meine Freunde.
Drüben im Westen werde ich diesen Kampf nicht mehr führen (müssen).
Aber ich werde sie aber unterstützen.
Wie lange kann dieser Rattenstaat noch überleben?
Letzten Donnerstag fand ein Transport statt - hoffentlich wieder.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.