Schütteltransport
Stasi Haft 14. April 1985
17 Uhr.
Sie finden das 3-seitige Manifest in meinen Kleidern, das ich Wochen im Voraus vorbereitet hatte.
Darin: meine ganze Frustration über das System, meine politischen Ansichten, die mit allem, was mich umgibt, hart kollidieren.
Geopolitische und mikrogesellschaftliche Themen und sehr persönliche Gründe, warum ich in diesem Land keine Zukunft sehe.
Und natürlich: die Forderung, mich aus der Staatsbürgerschaft zu entlassen, damit ich das Land verlassen kann.
Nicht ohne sie an die UN-Menschenrechtscharta und die Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975 zu erinnern.
Was für ein Witz - ich weiss.
Ein Beamter wirft einen Blick auf das Dokument.
Niemand sieht mich wirklich an.
Als ob ich nicht hier wäre.
Seltsam.
Mit diesem Manifest bewaffnet verlässt ein anderer Beamter den Raum.
Ich muss eine Bestandsaufnahme meiner Sachen unterschreiben.
Es ist nicht viel, das Manifest wird erwähnt.
Zwei neue Typen erscheinen und bitten mich, ihnen zu folgen.
Im Hof steht ein Fahrzeug.
Es ist wie eine Kiste.
Mit Kisten drinnen.
Ich steige ein.
Die Box passt genau um meinen Körper.
Ich frage mich, wie sie grosse Kerle wie den Türsteher transportieren.
Es gibt keine Fenster.
Es ist wie eine Augenbinde.
Das Auto fährt los.
Schnell und wackelig.
Die Fahrt dauert weniger als 10 Minuten.
Nur unterbrochen von zwei Toren, die wir passieren.
Ich verlasse meine Doppelbox in einem anderen Hof.
Ich werde zwei Stockwerke hochgeschoben.
Das Gebäude sieht aus wie eine Schule.
Ich erwarte keinen Lehrer.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.