Albträume
Kästner Zuchthaus Leipzig 12. Juli 1985
"Mittagessen" ist der grösste Witz!
Völlig verschimmeltes Brot.
Ranzige Margarine.
Das kann ich nicht essen!
Zwei harte Scheiben für jeden.
"Wenn du es nicht isst, ess’ ich es!"
Nun, ich bin ja gewohnt, nichts zu essen.
Es scheint, dass sie mich in Ruhe lassen werden.
Vielleicht liegt es an der Chance, mein "Essen" zu bekommen.
Der ältere Kerl ist sein ganzes Leben lang rein ins Gefängnis, wieder raus aus dem Gefängnis und wieder rein ins Gefängnis.
"Dieses Mal sind es 17 Jahre - ich habe die Axt genommen."
Ich kann das überhaupt nicht verarbeiten.
Dieses Gefängnis, so erfahre ich, wurde als zentrales Gefängnis für die Vollstreckung der Todesstrafe im Land genutzt.
Die letzte Hinrichtung fand hier 1981 statt. Einem Mann wurde in den Hals geschossen.
"Politischer Gefangener. Ihr Jungs habt es schwer."
Verschafft mir das eigentlich Respekt bei den Kriminellen?
In der Vergangenheit wurde hier die Guillotine eingesetzt.
Im Keller sagen sie.
Ich bin mir nicht sicher, ob ich mehr Angst vor ihnen, vor diesem Ort oder vor dem Essen haben sollte, das mich umbringen könnte.
Ich beschliesse, diese Tage wie einen Film zu erleben.
Ab heute Nacht - mit Albträumen.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.