Beginn einer Flucht
Leipzig 12. April 1985
Heute Abend endet das hier. Alles.
Seit ich als 15-Jähriger angeklagt wurde, als ich versuchte, das Land zu verlassen, und dabei eine faire Chance auf eine gute Ausbildung verlor (Repression vom Staat), brach meine Welt immer weiter zusammen.
Triste Strassenszenerie in Leipzig Lindenau 80er Jahre
Ich habe miterlebt, wie meine Eltern ihre Träume begruben.
Ich wurde von Behörden herumgeschubst, auch am Arbeitsplatz.
Meine Fragen fanden keine Antworten mehr, auf die ich eine Zukunft hätte aufbauen wollen.
Der aktive Widerstand in der Anti-Regierungs-Punk-Szene gab mir eine Plattform, um meine komplette Frustration über die staatlich geförderte Unterdrückung auszudrücken, aber er führte auch zu mehr Reibung und Risiken.
Als ich gegen 20 Uhr durch die Tristesse meiner Stadt nach Hause laufe, versuche ich mir vorzustellen, wie ich als Erwachsener wäre - Jahre später. Nach 60 Minuten zügigen Gehens bleibe ich stehen, als ich feststelle, dass ich während der letzten Stunde keinen einzigen glücklichen Gedanken hatte.
Nicht ein einziges Lächeln oder eine hoffnungsvolle Sehnsucht ließen mein Herz höher schlagen.
Was, zum Beispiel, werde ich meinen Kindern antworten, wenn sie wissen wollen, warum ich die rote Fahne nicht an unsere Fenster hänge? Lügen um sie zu schützen?
Ohne eine gute Ausbildung würde ich immer von der Willkür des Regimes abhängig bleiben. Meine Probleme damit werden nur zunehmen.
Die kohlestaub-schwangere Luft an diesem Aprilabend überzieht meinen Geist, erstickt meine Hoffnung. Wieder, wie so oft, finde ich kein Lächeln. Doch dieses Mal ist die Verzweiflung überwältigend. Diesmal kann ich nicht mehr atmen.
Ich will raus.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.