Einsam in der Strassenbahn
Leipzig 14. April 1985
6 Uhr morgens.
Ich fahre mit der Strassenbahn zum Bahnhof.
Ich bin allein hier drin.
Es ist Sonntag.
Der Brief hat drei Funktionen:
Um zu beweisen, dass meine Eltern nichts wussten.
Um Rechenschaft darüber abzulegen, was mich zu diesem Punkt geführt hat.
Um mich für ihr Leid zu entschuldigen, das ich ihnen jetzt zufügen werde.
Ich fühle mich schrecklich für sie.
Aber sie werden es erst in ein paar Tagen erfahren.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass ich ein paar Tage bei Freunden verbringe.
Fokus jetzt!
Was ist der Plan?
Zug nach Berlin.
Checkpoint Charlie.
Ausweis vorlegen, Ausreise verlangen.
SIE werden mich verhaften.
SIE werden mich bestrafen.
Ich werde aus Protest in den Hungerstreik treten.
Ich habe keine Ahnung, wohin das führen wird.
Ich denke an meine besten Freunde.
Meine Freundin.
Ich weine.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.