Ein Monster schluckt mich

Leipzig Hauptbahnhof 14. April 1985

7 Uhr morgens.

Der Leipziger Hauptbahnhof ist ein schönes Ungeheuer.
Er verschlingt dich mit deiner Bestimmung.
Verschlingt dich mit Stein und Licht.
Spuckt dich wieder aus.

Der Leipziger Hauptbahnhof ist mit 26 Bahnsteigen und einem riesigen Areal drum herum einer der größten in Europa. Er ist ein wichtiger Knotenpunkt in der Mitte Ostdeutschlands.

Harte, alte Brötchen mit fettem Käse und dünnem Kaffee.
Soldaten und Betrunkene teilen sich das Restaurant.
Mischen ihre Schlaflosigkeit und ihren Geruch.
Knoblauch, Filz und Schnaps.

Was ist, wenn sie am Ceckpoint Charly auf mich schiessen?
Soll ich zur Grenze laufen?
Soll ich ein Plakat hochhalten?
Was wäre, wenn...

Ich habe diesen Bahnhof immer geliebt.
Hier wurden wir einmal verhaftet.
Ein Freund reiste mit einer Gitarre an.
Wir sassen auf dem Boden und sangen Lieder.

"Unerlaubte Gruppenbildung"

Der Zug ist fast leer.
Ich fühle mich entspannt und konzentriert.
Die Welt fliegt vorbei - IHRE Welt.

 

*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.
Jens Thieme

Playing hard, living loud, moving around fast, resting deep and enjoying it all.

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