Hungrig oder nicht

Stasi Haft 15. April 1985

7 Uhr morgens.

Ich habe kaum geschlafen.
Mein Rücken schmerzt mehr als mein leerer Magen.
Ich lasse das "Frühstück" unangetastet: altes Brot, Marmelade.

Original Stasi-Gefängniszelle, wie sie im Stasimuseum Leipzig Runde Ecke gezeigt wird.

Ich fühle mich wie in einem Unterwasserfilm.
Erschöpfung durch Schlafmangel und Hunger.
Das eiskalte Wasser in dem winzigen Waschbecken hilft sehr.

Meine Eltern bekommen heute "Besuch".
Ich hoffe, sie sind stark.
Ich weiss, dass ich es bin.

Gegen 8 Uhr werde ich zu ‘Herrn Schubert’ zurückgerufen.
Heute beginnen wir, mein ganzes Leben aufzurollen.
Jedes Detail, alles.

Ich schätze, sie wollen mich noch länger behalten.
Wie lange wird es dauern, bis es ein Urteil gibt?
Ich werde einfach weiter verlangen, dass sie mich in den Westen entlassen und das war's.

Überraschenderweise bin ich überhaupt nicht hungrig.
Und ich beschließe, nach IHREM Drehbuch zu spielen.

*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.
Jens Thieme

Playing hard, living loud, moving around fast, resting deep and enjoying it all.

https://jens.thie.me
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