Old and wise
Stasi Gefängnis 22. April 1985
Es gibt gute Tage und es gibt schlechte Tage.
Ich bin über Nacht wieder etwas zu Kräften gekommen.
Baby Schubert beglückwünscht mich zu meiner Entscheidung zu essen.
Fick dich, Babyface!
Heute geht es um Freunde.
Es ist ein sehr stilles Gespräch.
Ich versuche herauszufinden, wonach sie graben.
Das 3-seitige Manifest spielt eine untergeordnete Rolle, was ich nicht wirklich verstehe.
Ich hatte bereits erwähnt, dass der Brief vervielfältigt und weitergegeben wurde.
Sie wollen wohl herausfinden, wer ein Exemplar haben könnte oder ob es weiter verteilt wird?!
Obwohl ich frühere Versuche abgewehrt hatte, kann ich nicht glauben, dass das gereicht hat, dass sie damit zufrieden sind. Da kommt noch was.
"Es ist persönlich."
Meine Standardantwort heute.
Baby Schubert bleibt ruhig wie immer.
Heute wird nicht viel geschrieben.
"Ihr Vater wird Sie nächste Woche besuchen."
"Wie geht es meinen Eltern?"
"Gut."
Emotionen machen sich breit.
Ich fühle mich schrecklich für das, was ich ihnen zumute.
Ich frage mich, wie sie damit zurechtkommen - wenigstens haben sie einander.
"Was ist mit meiner Mutter?"
"Nur ein Besucher."
"Einmal im Monat?"
"Ja, eine halbe Stunde."
Der Rest der Sitzung ist sehr wortkarg.
Eines der wenigen Dinge, an die ich mich nie gewöhnen werde: dass jemand neben einem kackt.
Da es in den Zellen nicht einmal den geringsten Luftzug gibt, bemühen wir uns, das vor und während der Mahlzeiten zu vermeiden.
Wenn ich bis tief in die Nacht an meine Eltern denke, lenkt mich das auch davon ab - und mit den Liedern, die ich in meinem Kopf spiele.
Alan Parsons Project "Old and Wise".
Bringt mich jedes Mal zum Weinen.
Jedes Mal.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.