Papa ist niedergeschmettert

Stasigefängnis 28. Mai 1985

Papa besucht mich.

Er sieht furchtbar aus.

Er muss in kürzester Zeit um weitere zehn Jahre gealtert sein.

DDR Stassi MfS Stasi Poststempel

"Wie geht es Mama?"

"Sie hält sich eher beschäftigt."

Sie haben ein grosses Bild von mir für das Wohnzimmer anfertigen lassen.

 

"Du siehst nicht so gut aus."

"Schlechter Schlaf, aber es geht mir gut."

Ich bin mir nicht sicher, ob ich das glauben kann.

 

"Seid Ihr in Schwierigkeiten?"

"Sie haben ein paar Leute geschickt."

"Wo? Was ist hier los?"

 

Die ‘Besucher’ versuchten wohl ihn zu überzeugen, sich von mir loszusagen.

Einfach war das sicher nicht, weder im Betrieb, noch daheim.

"Sie werden uns nie auseinander bringen!"

 

"Ich weiss, Papa!"

"Ich könnte den Job wechseln."

"Es tut mir so leid Papa!"

 

"Nicht nötig! Das alles weckt uns auch auf, weisst du?!"

Trotzdem mag ich seine unterschwellige Traurigkeit nicht.

Er wirkt erschöpft, am Boden zerstört, niedergeschmettert.

 

"Nächsten Monat werden sie mich anklagen und dann ist diese Phase erstmal vorbei."

Es ist nicht schwer, ihn davon zu überzeugen, dass wir durchhalten und stark sein müssen.

Ich weiss, dass er es gerne wäre, aber er hat etwas Dunkles und Schmerzhaftes an sich.

 

"Ist da noch was anderes Papa?!"

"Es ist in Ordnung, wirklich."

"Ich liebe Dich!"

 

Es ist eine beschissene Nacht.

Das blöde Licht weckt mich alle 15 Minuten.

Ich bekomme das traurige Gesicht meines Vaters nicht aus dem Kopf.

*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.
Jens Thieme

Playing hard, living loud, moving around fast, resting deep and enjoying it all.

https://jens.thie.me
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