Schlüsselloch

Stasi Haft 17. Juli 1985

Diesen Klang werde ich nicht vermissen.

Langsame Schritte in Richtung Zelle.

Das Echo hallt durch den Gefängnishof.

Plötzlicher Stopp.

Ein Schlüssel wird in das Schlüsselloch gesteckt.

Gewaltsames Drehen von scheinbar mehreren Pfund Metall.

Ich kann jetzt schon sagen, welche Zelle sich öffnen wird.

Manchmal wetten wir aus Spass und Langeweile.

Nächste Woche wird diese Tür für meinen Transport geöffnet.

Die Wachen wollen mir nicht sagen, wohin ich gehen werde.

Sie wissen es nie, behaupten sie.

Ich werde es also bei meiner Ankunft erfahren.

Die geringe Auswahl an Büchern in der Bibliothek ist erschöpft.

Jemand hat mir gesagt, dass es im Gefängnis Zeitungen geben wird.

Sogar eine grössere Buchauswahl und Schachbretter.

Es gibt geschlossene Gefängnisse, in denen man wie hier in Einzelzellen eingesperrt ist.

Und es gibt offene Gefängnisse, in denen alles von aussen abgeriegelt ist, man sich aber innerhalb des Gebäudes frei bewegen kann.

Je länger ich über meine nächsten Monate spekuliere, desto mehr freue ich mich auf die Zeit, die vergeht, aber ich habe immer noch Angst vor dem Unbekannten.

Vor allem aber: Ich habe Angst, nicht in den Westen gerettet zu werden.

Es gibt Fälle von politischen Gefangenen, die in ihre Heimat zurückkehren.

Ich bin mir nicht sicher, ob das einfach diejenigen sind, die bleiben wollen, um das System von innen heraus zu bekämpfen.

Ich möchte nicht 2 Jahre meines Lebens verlieren.

Im Moment möchte ich nur eine Sache verlieren:

Das markerschütternde Geräusch der Schlüsseldrehung.

*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.