Über das Danach
Stasi Haft 19. April 1986
Den ganzen Tag war es ruhig.
Ich hab das Essen stehen gelassen.
Zwei Scheiben altes, hartes Brot mit Schmalz.
Ich wundere mich über viele Dinge: Warum haben sie mich nicht in Dunkelhaft gesperrt?
Warum bin ich noch hier, während die meisten Entlassungen nach spätestens 2/3 der Gesamtzeit stattfinden?
Was versuchen sie mit dieser lächerlichen Buchführung in meinem alten Geschäft?
Werden sie mich für den gestrigen Brief an Kulas bestrafen?
Ich kann unmöglich der erste und einzige sein, der damit droht, einen öffentlichen Aufruhr um meinen Fall zu machen.
Ist das mein Ticket nach draussen, oder habe ich mich und meine Familie auf einen Haufen Unterdrückung vorbereitet?
Ich nutze nun die Zeit um mir Aktionen für den Tag und die Zeit nach meiner Entlassung in die DDR auszudenken.
Ich sollte auf jeden Fall sofort handeln, und zwar hier in dieser Stadt.
Ich muss etwas finden, das viel Aufmerksamkeit erregt.
Sie werden mich nach der Entlassung beschatten.
Vielleicht würden sie mich sogar nach Hause fahren.
Aber sie können mich nicht von meinem Netzwerk fern halten.
Oder sie wollen die Öffentlichkeit meiden.
Sie könnten auf die Idee kommen, meine Freunde zu bedrohen, indem sie mich wieder freilassen.
Ich frage mich, wer diese Optionen abwägen wird und wie und wann die Entscheidung fallen wird.
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.