Glasbausteine in die Zukunft
Stasi Haft 22. Mai 1985
Dirk ist weg.
Sie haben ihn tagsüber geholt.
Als ich vom Verhör zurückkam, war er weg.
Sein Bett leer.
Keine Spur von einem Kameraden.
Als ob ich ihn mir eingebildet hätte.
Baby Schubert hat den ganzen Tag versucht, mich zu überreden.
Warum tut er das?
Ich hasse ihn.
"Wir alle machen im Leben Fehler."
"Wie bei der Berufswahl?"
"Sie können das alles wieder gut machen und zu ihrer Familie zurückkehren."
Ich wollte sehen, wie weit er gehen würde.
Er blieb bemerkenswert ruhig, als ich ihn anschnauzte.
Aber ich konnte nicht den ganzen Tag diesen Mist ertragen, musste das beenden.
"Hören Sie: Versuchen Sie hier, was immer Sie wollen. Ich war bereit zu verhungern, schon vergessen?"
"Ich kann nicht verstehen, woher die Frustration kommt, mit Ihrem Zuhause, den Chancen..."
"Halt jetzt verdammt noch mal die Klappe, klar?! Ich halte das nicht mehr aus, bringt mich in meine Zelle!"
Den Rest des Nachmittags ging er das erste Protokoll noch einmal durch.
Der langweiligste Tag in meinem Leben.
Ich will nur, dass es aufhört.
Zurück in die Zelle, ein wenig früher.
Das Abendlicht hinter dem Glasbausteinfenster.
Ich starrte es an und verlor mich in Gedanken an Dirk.
Wo ist er jetzt?
Haben sie ihn schon ins Gefängnis gebracht?
Werde ich ihn jemals wiedersehen oder wissen, wie er es geschafft hat?
*Zeitzeugenbericht -> Beginn. Dieser Blogeintrag ist Teil eines linear erzählten Zeugenberichts des Zeitzeugen Jens Thieme der 1985-1986 als politischer Häftling in verschiedenen DDR Gefängnissen vom DDR Ministerium für Staatssicherheit eingesperrt wurde. Stasihaft, Stasi-Haft, Stasi Haft, Stasigefängnis, Stasi-Gefängnis, Stasi Gefängnis.